Psychoneuroimmunologie: Wie Gefühle das Immunsystem beeinflussen

Gastbeitrag von Judith Weinzierl (B.Sc. Psychologie) von MentalStark

Psychoneuroimmunologie – ein ziemlich verschachteltes Wort, das Sie vielleicht zweimal lesen mussten, um es zu verstehen. Der noch junge Forschungszweig beschäftigt sich mit dem Zusammenhang zwischen der Psyche und dem Immunsystem. Dieser Artikel verschafft Ihnen einen Überblick darüber, wie sich die beiden Komplexen Systeme gegenseitig beeinflussen, wie das Wechselspiel erforscht wird und welche Erkenntnisse es jetzt schon zu beachten gilt.


Welchen Einfluss hat die Psyche auf unsere Gesundheit?
Welchen Einfluss hat die Psyche auf unsere Gesundheit?

Was ist Gegenstand der Psychoneuroimmunologie?

Die Psychoneuroimmunologie ist ein relativ junges Forschungsfeld der Psychosomatik, also des Forschungszweigs, der sich mit dem Einfluss psychischer und sozialer Faktoren auf den Körper auseinandersetzt. Die Psychoneuroimmunologie untersucht dabei die Zusammenhänge zwischen dem Nervensystem, dem Immunsystem, dem Befinden und Verhalten. Ausgangspunkt dieser Forschung ist der Befund, dass es in der Milz eine enge anatomische Verbindung zwischen dem sympathischen Nervensystem und den Immunzellen gibt. Später wurden die Hormone und die Psyche sowie psychosoziale Reize als weitere Einflüsse auf den Zusammenhang zwischen Nervensystem und Immunsystem aufgenommen. Die Forschung beinhaltet zum Beispiel biologische Untersuchungen von Gewebe und Blut, Studien zum Einfluss von Stress, Stressverarbeitung und Persönlichkeitsmerkmale auf die Funktion des Immunsystems und die Rolle von psychischen Einflussfaktoren bei der Entstehung von Infektions- und Krebserkrankungen.

Welches sind die wichtigsten psychischen Einflussfaktoren auf das Immunsystem?

Die Antwort auf diese Frage lautet wie so häufig: Stress. Stress ist ein Begriff, für den es viele unterschiedliche Definitionen gibt. Im Allgemeinen bezeichnet man damit die Reaktion auf Belastungen, die als übermäßig stark oder unkontrollierbar erlebt werden – abhängig von der individuellen Resilienz einer Person. Die Auslöser dieser Reaktionen, sogenannte Stressoren, können vielfältig sein und sind gleichzeitig unvermeidbar. Jeder Mensch hat Stressoren in seinem Leben. Diese können kurzfristig oder langfristig sein und sich in ihrer Belastungsintensität unterscheiden. Das heißt, Stressoren umfassen alltägliche Ereignisse wie das Verpassen des Buses, das Nichtbestehen einer wichtigen Prüfung sowie möglicherweise traumatische Ereignisse wie Verkehrsunfälle oder ein sexueller Übergriff. Auch bei den langfristigen Stressoren kann der individuelle Grad der Belastung variieren. Dazu zählen beispielsweise Unzufriedenheit im Job, anhaltende Arbeitslosigkeit oder chronische Erkrankungen. Doch welchen Einfluss hat die Psyche auf das Immunsystem? Hier ist die Unterscheidung zwischen akutem Stress und chronischem, also andauerndem, Stress wichtig: Akuter, kurz andauernder Stress, der im Körper auch schon bei sportlicher Aktivität oder durch einen wichtigen Abgabetermin ausgelöst wird, sorgt dafür, dass das Immunsystem aktiviert wird. Nach dem Abklingen der Stressoren wird die Stressreaktion wieder herabreguliert und das Immunsystem kehrt in seinen Ausgangszustand zurück. Das ist etwas Alltägliches und unsere Körper sind daran gewöhnt. Bei andauerndem Stress kann sich das Immunsystem allerdings nicht mehr so gut regulieren. Dadurch kann es in ein permanentes Ungleichgewicht abrutschen und beispielsweise stille Entzündungen im Körper auslösen.

Jeder empfindet Stres anders - sicher ist, dass er krank machen kann.
Jeder empfindet Stres anders – sicher ist, dass er krank machen kann.

Was passiert dabei auf physiologischer Ebene im Körper?

Auf physiologischer Ebene sind eine Vielzahl an Hormonen, Zellen, Nerven, Organen und Gehirnarealen beteiligt. Dementsprechend sind die physiologischen Prozesse sehr komplex. Entscheidend ist aber die Kommunikation zwischen dem zentralen Nervensystem (ZNS) und dem Immunsystem. Diese Kommunikation läuft auf zwei Wegen ab. Zum einen gibt es direkte Nervenbahnen zu den relevanten Organen wie dem Knochenmark, der Milz, den Lymphknoten und der Haut. Zum anderen können Stresshormone systematisch freigesetzt werden. Doch was passiert genau? Von zentraler Bedeutung ist die HHN-Achse, welche aus dem Hypothalamus (H), der Hypophyse (H) und der Nebenniere (N) besteht. Jetzt wird es kurz kompliziert: Durch die Aktivierung von Stressoren wird im Hypothalamus CRH gebildet, welches wiederum in der Hypophyse die Ausschüttung von ACTH aktiviert. ACTH führt weiter zur Aktivierung von Glucocorticoiden. Das sind eine Menge Abkürzungen, die ganz schön verwirrend sein können. CRH sind Corticotropin-freisetzende Hormone, welche wie die Glucocorticoide Botenstoffe für die Regulation des Metabolismus bei Stress sind und wiederum die Zellen des Immunsystems beeinflussen können. Zu den Glucocorticoiden gehört beispielsweise ihr wohl bekanntester Vertreter: Cortisol . Dieses sorgt einerseits dafür, dass Glucose aus der Leber ausgeschüttet wird. So wird der Körper mit Energie versorgt, damit er auf einen Stressor reagieren kann (falls die Flucht vor dem Säbelzahntiger nötig ist). Andererseits ist Cortisol für die Regulierung von Entzündungsprozessen wichtig, indem es sich an die entsprechenden Rezeptoren bindet. So wird zudem verhindert, dass die frei gewordenen Energieressourcen nicht durch eine Stimulation des Immunsystems aufgebraucht werden. Zusammengefasst bedeutet das, dass das Immunsystem bei akutem Stress aktiviert wird und mit einer Entzündungsreaktion reagiert, die schnell wieder ausgeglichen wird. Was genau bei chronischem Stress auf physiologischer Ebene passiert, ist noch nicht hinreichend erforscht. Es sind (mindestens) zwei Möglichkeiten denkbar: Es kann zu einer Überstimulation oder zu einer Hemmung der HHN kommen. Das führt dazu, dass die durch das Cortisol vermittelte Stressadaption verändert wird und die Entzündungsprozesse nicht mehr ausreichend reguliert werden können – das Cortisol verliert also ein Stück weit seine Macht über die Entzündungsprozesse.

Wie stärkt die Psyche das Immunsystem?

Zu den positiven Einflussfaktoren zählen neben sozialen Beziehungen und Wohlbefinden auch Kontrollerleben, Selbstwirksamkeit und Schlaf. Kontrollerleben und Selbstwirksamkeit sind eng miteinander verwandt und wurden in Studien mit Personen, die ihre Angehörigen pflegen, als Schutzfaktoren identifiziert. Kontrollerleben umschreibt den eigenen Glauben daran, auch über die Schwierigkeiten des eigenen Lebens Kontrolle zu haben und hat einen wichtigen Einfluss auf das eigene Stresserleben. Die Selbstwirksamkeit bezeichnet die Erwartung, auch neue oder schwierige Aufgaben aufgrund der eigenen Kompetenzen bewältigen zu können. Das psychische Wohlbefinden ist wiederum eng mit sozialen Beziehungen verknüpft. Hier zeigt die Forschung, dass positive soziale Beziehungen eine hohe wahrgenommene soziale Integration und die Verfügbarkeit von sozialer Unterstützung einen positiven Einfluss auf das Immunsystem haben. Außerdem zählt ausreichend nächtlicher Schlaf zu den positiven Einflussfaktoren auf das Immunsystem. Einfluss nehmen auf die Selbstwirksamkeit können Betroffene beispielsweise durch eine Psychotherapie, wie Sie in unserem Artikel über Verhaltenstherapie bei Multipler Sklerose nachlesen können.

Schlägt ein geschwächtes Immunsystem auf die Psyche?

Es ist unumstritten, dass eine Krankheitserfahrung ebenfalls zum Stressor für die psychische Gesundheit werden kann. Denn es ist fraglos belastend, mit Krankheit – bis hin zur eigenen Sterblichkeit – konfrontiert zu sein. Dazu kommen Sorgen über schmerzhafte, möglicherweise auch sozial einschränkende Symptomschübe. Auch die Auseinandersetzung der Herkunft von Symptomen und die Abklärung von möglichen Diagnosen können stressen, wie Sie etwa in unserem Artikel über den Umgang mit der Diagnose Multiple Sklerose nachlesen können. Allerdings ist nicht jede Autoimmunerkrankung automatisch mit einem höheren Risiko für psychische Belastungen oder Störungen verbunden. Ein Schlüsselstichwort für den Zusammenhang zwischen geschwächtem Immunsystem und Psyche ist das sogenannte Sickness Behavior (Krankheitsverhalten). Dieses beinhaltet eine Kombination aus Erlebens- und Verhaltensweisen, die auftreten, wenn das Immunsystem einer Person belastet ist. Auslöser dieser Belastung können Virusinfektionen, aber auch versteckte, chronische Entzündungen sein. Zum Sickness Behavior zählen Symptome wie Erschöpfung oder Appetitlosigkeit, aber auch Traurigkeit, Interesselosigkeit und Konzentrationsschwierigkeiten. Diese Symptome sind notwendige Anpassungsreaktionen des Organismus, um ausreichend Energie für die Bekämpfung der Infektion zu sparen. Ausschlaggebend für das Sickness Behavior sind Zytokine. Dabei handelt es sich um kleine Proteine, die von verschiedenen Körperzellen als Reaktion auf aktivierende Reize ausgesetzt werden können. So vermitteln sie auch Informationen zwischen den Zellen des peripheren Immunsystems und des ZNS und können Entzündungen auslösen. Hier hat eine Studie zur Behandlung von Hepatitis C, bei der die Patientinnen und Patienten mit proinflammatorischen Zytokinen behandelt wurden, gezeigt, dass 30-50% der Teilnehmenden Symptome wie Appetitlosigkeit, getrübte Stimmung und/oder eine Beeinträchtigung von Schlaf entwickelten. Umgekehrt verbessern Medikamente, die die Wirkung von proinflammatorischen Zytokinen hemmen, die Stimmung von Teilnehmenden mit entzündlichen Krankheiten und verstärken die Wirkung von Antidepressiva bei schwerer Depression. Das heißt, auch unterschwellige, chronische Entzündungen können die Psyche belasten, ohne dass sich Betroffene über diesen Zusammenhang bewusst sind.

Behandlungsansätze: Psyche und Körper im Einklang

Insgesamt kann geschlussfolgert werden, dass Entzündungen eine universelle Reaktion auf physischen und psychischen Stress sind. Die systematische Behandlung von Entzündungen ist daher entscheidend. Die Studienlage ermöglicht es aktuell noch nicht, universelle Empfehlungen für die Behandlung aller Erkrankungen abzugeben. Gerade die Studien zum Sickness Behavior zeigen jedoch, dass es sich lohnt, auch schon bei einem ersten, leichten Krankheitsgefühl auf den Körper zu hören, eine Pause einzulegen und sich Ruhe zu gönnen. So kann der Körper in seinem Heilungsprozess unterstützt werden. Aber es kann (leider) nicht geschlussfolgert werden, dass dies für jede psychische oder körperliche Erkrankung ausreicht. Allerdings bieten die Erkenntnisse aus der Psychoneuroimmunologie eine breitere Sicht auf verschiedene Behandlungsmethoden, welche miteinander kombiniert werden können, um Entzündungen zu verringern und das psychologische Wohlbefinden zu verbessern. So sind neben klassischen pharmakologischen Behandlungen, auch Ernährungsinterventionen und psychologische Interventionen möglich. Bei der Ernährung gilt es beispielsweise zu beachten, dass stark verarbeitete Lebensmittel mit raffinierten Kohlenhydraten und zusätzlichem Zucker mit höheren Entzündungsmarkern in Verbindung stehen. Dagegen wirken Interventionen, in denen der Konsum von gesunden Fetten, Obst und Gemüse erhöht wird, entzündungsverringernd. Die Psychoneuroimmunologie ist ein junges Feld der Psychosomatik, in dem noch viel Forschung nötig und möglich ist. Das Ziel ist es, eine ganzheitliche Behandlung von psychischen Erkrankungen durch Blick auf das Immunsystem und psychische Stressoren zu ermöglichen. Gleichzeitig soll psychischen Einflüsse auf somatische Erkrankungen mehr Beachtung geschenkt werden. So können neue, ganzheitliche Behandlungsmethoden entwickelt werden. Allerdings zeichnet sich schon jetzt ab, dass es keine universelle Lösung geben wird, sondern Menschen in ihrer Komplexität und Individualität betrachtet werden müssen. Diese Komplexität beinhaltet unter anderem die individuelle Genetik, die Darmstruktur und die individuellen Stressoren im Leben eines Menschen. Aktuell beschäftigt sich die Forschung beispielsweise mit dem Zusammenhang zwischen frühkindlichen Traumata und Entzündungen. Es bleibt also spannend.

Externe Quellen

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