Forschung und Entdeckung: Die erstaunlich junge Geschichte der Vitamine
Vitamine sind lebensnotwendige Nährstoffe, die unser Körper größtenteils nicht selbst herstellen kann. Sie müssen deswegen regelmäßig mit der Nahrung aufgenommen werden. Heutzutage gehört das zum Allgemeinwissen. Doch während Vitaminmangelkrankheiten wie Skorbut schon 2000 v.Chr. bekannt waren, gelang erst Anfang des 20. Jahrhunderts die Entdeckung der Vitamine. Schnell entwickelte sich ein regelrechter Boom der Vitaminforschung. Von 20 bekannten Vitaminen gelten heute aus medizinischer Sicht 13 als unerlässlich für den Menschen. Werfen wir einen Blick zurück, in die spannende Geschichte der Vitamine.
Die Entdeckung der Vitamine ist eng verbunden mit der Bekämpfung von Mangelerkrankungen.
Die Entdeckung der Vitamine
Den Grundstein zur Entdeckung der Vitamine legte der Arzt und Chemiker Nikolai Lunin. Dieser forschte 1881 im Rahmen seiner Dissertation an künstlicher Ernährung für Mäuse. Zu dieser Zeit waren Fett, Kohlenhydrate, Proteine und Salze die einzige notwendige Nahrungsbestandteile. Lunin isolierte künstlich Fett, Milchzucker, Kasein und Salze aus der Milch und verfütterte diese Mischung einer Gruppe Mäusen. Eine zweite Gruppe erhielt dagegen frische Milch. Nach einiger Zeit ging die erste Gruppe ein. Lunin schloss daraus, dass in der Milch geringe Mengen einer weiteren, lebensnotwendigen Substanz enthalten sein müsse.
Verbreitung von Beri-Beri durch polierten Reis
Einen weiteren Fortschritt erzielte der niederländische Tropenarzt Christiaan Eijkman. Dieser wurde 1886 nach Indonesien geschickt, um der Ursache für die um sich greifende Krankheit Beri-Beri auf den Grund zu gehen. Anzeichen für Beri-Beri sind Nervenentzündungen und der dadurch entstehende sogenannte Schafsgang, Hautentzündungen und Ödeme. Eijkman vermutete einen bakteriellen Krankheitserreger als Auslöser. Im Jahr 1897 entdeckte er, dass Hühner, die sich von geschältem Reis ernährten, auch von Beri-Beri betroffen waren, während Hühner, die ungeschälten Reis verzehrten davon verschont blieben. Durch Verfütterung der Reiskleie bildete sich die Erkrankung bei den Hühnern sogar zurück. Er schlussfolgerte, dass in der Reisschale ein Stoff enthalten sein müsse, der die Bakterien oder die durch sie gebildeten Toxine unschädlich macht. Sein Assistent Gerrit Grijns verfolgte die These, dass dem polierten Reise eine Substanz fehle, die das Nervensystem schützt.
Nahrung ist mehr als nur Energieträger
Durch diese Arbeit kam verstärkt Bewegung in die Vitaminforschung. Der englische Physiologe Frederick Gowland Hopkins vertrat seit 1906 deutlich die Meinung, dass neben den bekannten Nahrungsbestandteilen Protein, Kohlenhydrate, Fett und Mineralien weitere lebensnotwendige Faktoren enthalten sein müssten. In einer 1912 erschienenen Arbeit bezeichnete er diese akzessorische Ernährungsfaktoren (accessory factors). Auch seine Arbeit befasste sich mit der Ernährung von Ratten, mittels künstlicher Milchbausteine. Hopkins gelang es im weiteren Verlauf seiner Forschung auch noch die Vitamine A und B in der Milch nachzuweisen. Hopkins und Eijkman wurden 1929 gemeinsam für ihre Entdeckungen mit dem Nobelpreis ausgezeichnet.
Der Begriff Vitamin wird geboren
Die Bezeichnung der akzessorischen Ernährungsfaktoren als Vitamine geht allerdings auf Casimir Funk zurück. Auch er wurde durch Eijkmans Arbeit inspiriert und vertrat die These, dass ein Mangel an bestimmten Stoffen Auslöser verschiedener Erkrankungen sein könne. Aus der Reiskleie, also den feinen Silberhäutchen, die zwischen Reiskorn und äußerer Schale liegen und bei poliertem Reis nicht mehr vorhanden sind, isolierte er 1912 eine stickstoffhaltige Verbindung, von der er glaubte, es sei ein Amin, also ein Derivat des Ammoniaks. In der Folge prägte er den Begriff „vital(vita=Leben) amine“ für diesen und weitere Stoffe. Tatsächlich handelte es sich bei seiner Entdeckung aber nicht um ein Amin, sondern um Nicotinsäure, auch bekannt als Niacin oder Vitamin B3. Niacin zeigt zudem gegen Beri-Beri keine Wirkung, wohl aber gegen eine andere Mangelerkrankung namens Pellagra. Der Begriff „Vitamin“ wurde jedoch zum Erfolgsmodell. Unabhängig davon gelang es schon 1910 dem Chemiker Suzuki Umetaro, der ebenfalls die Inhaltsstoffe der Reiskleie untersuchte, den tatsächlichen Beri-Beri-Faktor zu isolieren. Er nannte den Stoff „arberic acid“ also Reissäure und später Oryzanin. Heute ist dieser Stoff bekannt als Thiamin oder Vitamin B1.
Isolierung weiterer Vitamine
In der Folge entbrannte ein regelrechter Wettlauf um die Entdeckung und Isolierung weiterer Vitamine. Thiamin konnte 1926 erstmal in kristalliner Form aus Reiskleie isoliert werden. Bis 1936 konnten alle 13 essentiellen Vitamine in ihrer Reinform isoliert werden. Dies war häufig eng mit der Behandlung der Krankheiten, die durch ihren Mangel entstehen, verknüpft. So wusste man bereits seit dem 16 Jahrhundert, dass Skorbut durch bestimmte Lebensmittel, insbesondere Zitrusfrüchte, vermieden werden kann. Dadurch gelang es 1927 Vitamin C aus Kohl, Paprikaschoten und Nebennieren zu isolieren. Die heilende Wirkung von Lebertran bei Rachitis war seit 1807 bekannt. Im Jahr 1923 wurde erstmals auch die Wirkung von Sonnenlicht als heilender Faktor entdeckt. Schließlich konnte 1927 Adolf Windaus durch photochemische Synthese Vitamin D2 (Ergocalciferol) aus Ergosterin gewinnen. Durch die Gewinnung der isolierten Vitamine, ließen sich viele Mangelerkrankungen wesentlich einfacher behandeln.
Heute wissen schon die ganz kleinen wie wichtig Vitamine für ihre Gesundheit sind – auch wenn sie trotzdem oft lieber Pommes und Schoko essen.
Die essentiellen Vitamine
Elmer McCollum führte bereits 1913 Großbuchstaben als Trivialnamen zur Bezeichnung der Vitamine ein. So wurden die ersten elf Vitamine zunächst von A bis K durchnummeriert. Bei einigen Stoffen entschied man sich, dass sie eher nicht den Vitaminen zuzuordnen seien. Daher klafft jetzt zwischen E und K eine Lücke. Andere wirkähnliche Stoffe wurden dagegen zu Gruppen zusammengefasst. So wurde das Vitamin H (Biotin) zu Vitamin B7. Daraus ergibt sich die Liste der heute als essentiell angesehenen 13 Vitamine.
- Vitamin A (Retinol)
- Vitamin B1 (Thiamin)
- Vitamin B2 (Riboflavin)
- Vitamin B3 (Niacin)
- Vitamin B5 (Pantothensäure)
- Vitamin B6 (Pyridoxin)
- Vitamin B7 (Biotin)
- Vitamin B9 (Folsäure)
- Vitamin B12 (Cobalamin)
- Vitamin C (Ascorbinsäure)
- Vitamin D (Calciferol)
- Vitamin E (Tocopherol)
- Vitamin K (Phyllochinon)
Vitamine werden zusätzlich noch in wasserlöslich und fettlöslich unterteilt. Die Vitaminen A, D, E und K sind fettlöslich. Dadurch können sie in leicht fetthaltigen Mahlzeiten besser vom Körper aufgenommen werden. Außerdem ist der menschliche Körper in der Lage diese Vitamine in der Leber sowie dem Fett- und Bindegewebe zu speichern. Dadurch kann es bei Vitaminen dieser Gruppe durch Überdosierung zu schadhaften Wirkungen kommen. Für die Gruppe der wasserlöslichen Vitamin ist dies (mit Ausnahme von Pyridoxin) nicht bekannt. Überschüssige Vitamine werden in diesem Fall einfach über die Nieren ausgespült.
Wie steht es heute um die Versorgung mit Vitaminen?
Aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse seit Beginn des 20 Jahrhunderts sind Mangelerkrankungen wie Rachitis, Skorbut oder Beri-Beri in den Industrieländern quasi ausgestorben. Eine normale Mischkost, mit mehreren Portionen Obst und Gemüse, genügt für eine ausreichende Versorgung mit allen Vitaminen, zumal viele Lebensmittel, von Cornflakes bis Gummibärchen, zusätzlich mit Vitaminen angereichert sind. Bestimmte Lebensgewohnheiten, sowie manche Erkrankungen können dennoch eine zusätzliche Versorgung mit Vitaminen notwendig machen. So haben Raucher einen bis zu 40 Prozent höheren Bedarf an Vitamin C. Vegan lebende Menschen müssen sich zusätzlich mit B12 versorgen, da dies ausschließlich in tierischen Produkten vorkommt. Schwangeren und stillenden Frauen wird eine zusätzliche Versorgung mit den Vitaminen A, C, B1, B2, B6 und Folsäure empfohlen. Da mit dem Ater der Appetit abnimmt und entsprechend kleinere Portionen verzehrt werden, kann auch hier eine zusätzliche Versorgung mit Vitaminen sinnvoll sein. Die Einnahme von Vitaminpräparaten, insbesondere der fettlöslichen Vitamine, sollte jedoch stets mit einem Arzt abgesprochen werden.
Aktueller Stand der Forschung
Vitamine sind seit jeher ein kontrovers diskutiertes Forschungsthema. Während die einen in ihnen die Lösung für die meisten Gesundheitsprobleme sehen, halten die anderen den „Vitaminrummel“ für überbewertet oder sogar schädlich. Und so finden sich seit Beginn der Vitaminforschung bis heute zu nahezu jeder Meinung und Studie eine weitere Studie, die das Gegenteil behauptet. Es sind noch längst nicht alle physiologischen Prozesse, die in uns ablaufen, entschlüsselt, und auch welchen Einfluss andere Nahrungsbestandteile spielen könnten, muss weiterhin erforscht werden. Noch dazu zeigt sich, dass jeder Mensch in Bezug auf Ernährung anders funktioniert. Somit lassen sich im Grunde kaum allgemeingültige Aussagen treffen. Außer, dass das Thema Vitamine und Ernährung vermutlich noch für einige Zeit ein spannendes Forschungsthema bleiben wird.